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Freude an Selbstzerstörung statt Freude am Fahren – Deutschland zerlegt seine Autoindustrie

Freude an Selbstzerstörung statt Freude am Fahren? In Deutschland ist eine Treibjagd gegen die eigene Spitzenindustrie im Gang, wie sie wohl in fast keinem anderen Land möglich wäre. In der Diskussion über Manipulationen der Abgaswerte, die Vor- und Nachteile der Dieseltechnologie und mögliche Fahrverbote ist längst jedes Mass und jede Vernunft verloren gegangen. Man könnte meinen, Politik und Medien hätten sich vorgenommen, die Autobranche möglichst schwer zu beschädigen. Dabei steht Deutschlands Vorzeigesektor für 8 Prozent der Wirtschaftsleistung, beschäftigt direkt 820 000 und indirekt sogar 1,8 Millionen Menschen – von assoziierten Arbeitsplätzen ganz zu schweigen. In den Diskussionen finden Kosten und Nutzen von Massnahmen viel zu wenig Beachtung: Es fehlen die Preisschilder. Kampf gegen das Auto – koste es, was es wolle?

Kunden halten die Treue

Zum Crash hat ein kollektives Versagen von Politik und Autokonzernen geführt. Dennoch haben sich die Kunden von den deutschen Herstellern nicht abgewendet, nicht einmal vom Volkswagen-Konzern. Die deutsche Regierung hatte bereits im vergangenen Jahrzehnt einer starken Verschärfung von Grenzwerten für die Luftqualität zugestimmt, die seit 2010 in der EU gelten. Dass diese nicht eingehalten werden können, war von vorneherein klar. Die Grenzwerte für Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft in den Städten werden seit ihrer Einführung übertroffen, allerdings mit sinkender Tendenz. Die Städte und Kommunen haben dagegen genauso wenig getan wie die Berliner Politik – am Ende gab es gegenseitige Schuldzuweisungen. Erst die juristischen Klagen der selbsternannten Umweltschützer des Abmahnvereins Deutsche Umwelthilfe haben Politik und Konzerne aufgeschreckt, weil plötzlich in zahlreichen Städten durch Gerichtsurteile Fahrverbote für Dieselfahrzeuge drohten – und inzwischen teilweise verhängt wurden.

Diese Entwicklung geschah, als die mediale Diskussion schon extrem aufgeheizt war. Ausgelöst wurde der Albtraum der Autofahrer durch den unvorstellbaren und unverzeihlichen Betrug des Volkswagen-Konzerns bei der Emission von Abgasen, der das Unternehmen inzwischen mehr als 25 Milliarden Euro gekostet hat. Der VW- und der Audi-Skandal haben in Deutschland schliesslich alle heimischen Hersteller in Verruf gebracht – Importeure wie Toyota, Ford oder Fiat dagegen erstaunlicherweise kaum. Die vollständigen Folgen sind noch nicht endgültig absehbar. Inzwischen geht es sogar der «freien Fahrt für freie Bürger» an den Kragen, und es wird tatsächlich wieder einmal über ein generelles Tempolimit gestritten.

Volkswagen hat zwar betrogen, doch alle anderen Hersteller haben sich – nach heutigem Wissensstand – an die geltenden Regeln und die herrschende Praxis gehalten. Die Fahrzeuge von BMW, Daimler, Opel und vielen anderen wurden regulär zugelassen. Dabei war weit über die Autobranche hinaus bekannt, dass die Autos die Abgasemissionen ebenso wie die Verbrauchswerte lediglich unter idealen Bedingungen auf dem Prüfstand erfüllen (müssen) und die Werte im realen Fahrbetrieb massiv höher liegen. Auch die Reduktion der Abgasreinigung unter gewissen Bedingungen war bekannt. Beides haben Politik, Medien und Öffentlichkeit über Jahrzehnte toleriert – und die Autohersteller haben sich gemeinsame Sache machend in dieser Praxis zu bequem eingerichtet. Dabei hätten die Konzerne schon viel früher damit beginnen müssen, in beiden Bereichen Verbesserungen zu erzielen. Doch das hätte die Rendite geschmälert, was die Manager scheuten. Stattdessen lassen sich Daimler, BMW, Opel und andere bis heute von Politikern und Journalisten als Betrüger beschimpfen, ohne sich dagegen zu wehren.

Diskussion über das falsche Problem

Insofern ist es kein Wunder, dass auch die Folgediskussionen von den Anklägern der Autoindustrie dominiert werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Debatte über die Höhe des Grenzwertes von 40 Mikrogramm (µg) Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft. In Deutschland dreht sich die ganze Debatte um Stickstoffdioxid, obwohl Feinstaub für Menschen als viel gefährlicher gilt. Laut Umweltepidemiologen stirbt ein Durchschnittsbürger mehrere Lebensmonate früher durch die Feinstaubbelastung, die in Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern allerdings nicht sehr hoch ist. Die Verkürzung der Lebenszeit durch Stickstoffdioxid beträgt hingegen deutlich weniger als einen Tag. Die öffentliche Debatte betrifft also das falsche Problem, und Aktivisten schocken die Menschen mit ebenso horrenden wie abstrusen Zahlen über angeblich durch Stickstoffdioxid ausgelöste Todesfälle. 

In wenigen Jahren wird das Reissen der Grenzwerte kein Thema mehr sein. Doch dann werden die Schwellen von der EU vermutlich wieder gesenkt.

Generell gilt für die Schadstoffbelastung natürlich: je weniger, desto besser. Es gibt allerdings weder für Feinstaub noch für Stickstoffdioxid medizinische Schwellenwerte, ab denen keine Gesundheitsgefährdung mehr besteht. Entsprechend räumen auch Umweltepidemiologen ein, dass der Grenzwert von 40 µg auf pragmatischen und politischen Erwägungen beruht, zugespitzt könnte man auch von willkürlichen Werten sprechen. Ein geringfügig niedrigerer oder höherer Wert von beispielsweise 30 µg oder 50 µg würde das Gesundheitsrisiko der Bürger ganz geringfügig verringern oder erhöhen. In den USA liegt ein entsprechender Grenzwert bei 103 µg. Die massiven Forderungen – teure Nachrüstungen für Dieselfahrzeuge und das Verhängen von Fahrverboten –, die einer Enteignung von Besitzern der betreffenden Fahrzeuge gleichkommen, erscheinen aus dieser Sicht völlig unverhältnismässig. Genauso gut könnte man zum Schutz der Bürger ein totales Rauchverbot für jedermann verhängen (Rauchen ist ein viel grösseres Gesundheitsrisiko für die Menschen) oder die Höchstgeschwindigkeit in Städten generell auf 20 Kilometer pro Stunde senken.

Erst der Blick auf noch extremere Massnahmen verdeutlicht, dass in der Debatte über Grenzwerte und Fahrverbot die Verhältnismässigkeit fehlt und oft kein Preisschild an diskutierte Massnahmen gehängt wird. Zudem sollte man viel stärker über andere Möglichkeiten sprechen, um die Belastung der Menschen in den Städten durch Feinstaub und Stickstoffdioxid zu verringern. Dazu gehört die Einführung einer City-Maut, die Verteuerung von Parkraum, die Umrüstung der Fahrzeugflotten der Städte und Kommunen auf umweltfreundlichere Antriebe, der Ausbau von Park-and-ride-Angeboten, die generelle Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs, die Verflüssigung des Stadtverkehrs durch die Optimierung von Ampelsystemen oder der Bau von Umgehungsstrassen. Vor allem grünen Politikern sind aber etwa die letzten Punkte ein Graus, weil man Autos durch miserable Ampelsteuerungen lieber aus der Stadt vertreiben und beim Bau der Umgehungsstrasse ein Stück Wiese schonen will.

Der Diesel ist inzwischen sauber

Die hysterische Diskussion und der Dauerbeschuss des Diesels führte dazu, dass der Anteil der Selbstzünder bei Neuzulassungen von knapp 50 Prozent im Jahr 2015 inzwischen auf etwa 33 Prozent gesunken ist. Damit droht das Aussterben des Dieselmotors, einer deutschen Spitzentechnologie. Die Entwicklung ist absurd, weil das Image der Technologie beschädigt, der moderne Diesel inzwischen aber sauber ist. Laut den unverdächtigen Testern des ADAC erfüllen alle bis jetzt im realen Fahrbetrieb gemessenen Diesel der Abgasnorm «Euro 6d Temp» die Anforderungen bei den Stickoxiden und liegen mit Ausnahme eines japanischen Modells alle deutlich unter dem Grenzwert von 80 µg. 

Die Diskussion ist umso absurder, wenn man bedenkt, dass die Grenzwerte für den Ausstoss von Kohlenmonoxid und Stickstoffdioxid in den vergangenen Jahrzehnten bereits zwischen gut 60 Prozent und über 80 Prozent für Benziner und Diesel gesunken sind. Entsprechend fällt die mittlere Stickstoffdioxidbelastung selbst an viel befahrenen Strassen wie der Friedberger Landstrasse in Frankfurt seit 17 Jahren kontinuierlich. Dies ist ein genereller Trend in deutschen Grossstädten. In wenigen Jahren wird das Reissen der Grenzwerte kein Thema mehr sein. Doch dann werden die Schwellen von der EU vermutlich wieder gesenkt.

Das Diesel-Debakel ist nicht nur für die Autokonzerne dramatisch, weil sie dadurch die CO2-Vorgaben der EU nicht werden einhalten können, was erhebliche Strafzahlungen zur Folge haben wird, die letztlich wieder auf die Kunden abgewälzt werden. Diesel verbrauchen etwa 15 Prozent weniger Sprit, wodurch sie entsprechend weniger CO2ausstossen. Es ist genau aus diesem Grund auch schädlich für die Erreichung der Klimaziele. Das gilt umso mehr, als Elektroautos bei den Käufern noch keinen Kredit haben. Deutschland sollte seine Spitzentechnologie deshalb nicht beschädigen oder gar verdammen, sondern Kosten und Nutzen von erörterten Massnahmen in Einklang bringen und den Konzernen helfen, in der Erfolgsspur zu bleiben.

Sie können Wirtschaftsredaktor Michael Rasch auf TwitterLinkedInund Xing sowie NZZ Frankfurt auf Facebook folgen. «Die Belastung durch Stickstoffdioxid verkürzt die Lebenszeit um weniger als einen Tag»In der Diskussion um die Gefährlichkeit von Autoabgasen und Schwellenwerte plädiert der Umweltepidemiologe Ulrich Franck für mehr Augenmass und weist auf das völlige Ungleichgewicht zwischen den Risiken durch Feinstaub und NO2 und dem öffentlichen Diskurs darüber hin. Von Nachrüstungen für Dieselautos hält er nichts.Michael Rasch, Frankfurt 31.1.2019, 12:38BMW und Daimler bündeln die Kräfte beim Car-Sharing und investieren eine Milliarde EuroIn den deutschen Car-Sharing-Markt kommt Bewegung. Die beiden Platzhirsche car2go (Daimler) und DriveNow (BMW) fusionieren. Die neue Allianz der beiden Konkurrenten umfasst mit fünf Joint Ventures aber viel mehr als das Car-Sharing. Letztlich soll ein globaler Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen aller Art entstehen.Michael Rasch, Frankfurt 22.2.2019, 14:39Mit dem Staubsauger gegen StickstoffdioxidIn diversen deutschen Städten drohen Dieselfahrverbote. Die Stadt Kiel testet einen grossen Luftreiniger, um ein solches abzuwenden. Und die grosse Koalition denkt darüber nach, Fahrverbote auf Städte zu beschränken, in denen der Grenzwert klar überschritten wird.Christoph Eisenring, Berlin 18.2.2019, 12:26

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