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Wir steuern auf ein absolutes Chaos zu

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab der „Welt“ (Samstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Silke Mülherr und Martin Niewendick:

Frage: Der Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs hat die Briten vor die Wahl gestellt: Entweder das Unterhaus stimmt nächste Woche für das Austrittsabkommen, oder es wird bei keiner Einigung spätestens am 12. April zu einem harten Ausstieg kommen. Macht Europa jetzt britische Innenpolitik?

Lambsdorff: Die EU hält ihren Kurs und geht in Richtung geordneter Brexit. Gleichzeitig schützt sie die Europawahl. Was Frau May beantragt hatte, eine Verschiebung ohne irgendwelche Zusagen bis Ende Juni, war ja überhaupt nicht praktikabel. Also musste der Rat das korrigieren.

Frage: Für wie wahrscheinlich halten Sie ein zweites Referendum?

Lambsdorff: Ich hoffe darauf, aber für sehr wahrscheinlich halte ich es nicht.

Frage: Der Druck auf die britische Regierung steigt, den Austritt einfach abzublasen. An der weitverbreiteten Anti-EU-Stimmung im Land würde das vermutlich nichts ändern. Wäre es also nicht auch besser für den Zusammenhalt Europas, wenn die Briten einfach gingen?

Lambsdorff: Aus liberaler Sicht fände ich es besser, die Briten blieben. Andererseits ist ein einseitiger Rückzug durch die Regierung natürlich eine Aufkündigung des Referendums. Das würde auch in Großbritannien zu einer demokratischen Krise führen. Insofern ist das nur als Ergebnis eines zweiten Referendums vorstellbar, und nicht als einseitige Maßnahme am 12. April. Der Weg zu einer Lösung führt eher über einen geordneten Brexit – und über den Rücktritt der Premierministerin.

Frage: Hat Großbritannien in den vergangenen zwei Jahren die eigene und unser aller Zeit verschwendet?

Lambsdorff: Ernsthafte Verhandlungen laufen am Ende fast immer gegen die Uhr, das ist nicht ungewöhnlich. Problematisch ist eher, dass nicht nur England, sondern auch die Bundesregierung fahrlässig unvorbereitet ist für den Ernstfall. 120.000 bei uns lebende Briten wissen einfach nicht, woran sie nach dem Austritt sind. Etwa ob sie in Deutschland noch Anspruch auf Kindergeld haben oder ob sie sich bei einer Ausländerbehörde melden müssen, damit sie überhaupt noch hierbleiben dürfen. Wir steuern auf absolutes Chaos zu.

Frage: US-Botschafter Richard Grenell hat die Bundesregierung jüngst wegen zu niedriger Verteidigungsausgaben gemaßregelt. Führt er sich auf wie der „Hochkommissar einer Besatzungsmacht“, wie Ihr Parteifreund Wolfgang Kubicki behauptet?

Lambsdorff: Richard Grenell hat Kritik an einer bestimmten haushaltspolitischen Entscheidung geäußert, die in der Vergangenheit gemachten Zusagen zuwiderläuft. Der eine oder andere mag da überreagieren, ich rate zur Gelassenheit. Und dazu, im Gespräch zu bleiben.

Frage: Kubicki hat außerdem gefordert, Grenell auszuweisen. Haben Sie mit ihm über seine Äußerungen gesprochen?

Lambsdorff: Ja, und ich habe ihm gesagt, dass ich das für keine besonders gute Idee halte. Aber eine liberale Partei steckt eben voller Individualisten. So etwas gehört dazu. Grundsätzlich sind wir uns in der FDP-Fraktion aber einig: Es ist besser, miteinander zu reden, anstatt den Botschafter eines befreundeten Landes ausweisen zu wollen.

Frage: Richard Grenell glaubt, sein „direkter, etwas aufdringlicherer“ Stil könne dazu beitragen, sein Verhältnis zu Deutschland zu vertiefen. Hat er recht?

Lambsdorff: In einer Hinsicht ist ein Botschafter wie Grenell wirklich produktiv: Er macht in Berlin klar, dass sich in Washington politisch etwas grundsätzlich verändert hat. Ohne seine unmissverständlich deutlichen Worte könnten sich sonst manche in Deutschland der Illusion hingeben, mit der Wahl Donald Trumps habe sich nur eine kleine Verschiebung ergeben. Grenell aber ist jemand, der ganz ähnlich denkt und handelt wie Trump. Er ist ein authentischer Vertreter seiner Regierung. Und das ist nicht schlecht für einen Botschafter, auch wenn es dem einen oder anderen manchmal etwas zu sehr rumpelt.

Frage: Das ist Stilkritik. Was ist inhaltlich dran an Grenells Kritik?

Lambsdorff: Nicht Donald Trump hat das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfunden, das ist zu Obamas Zeit beschlossen worden. Aber diese Bundesregierung ignoriert das einfach und schadet damit unseren Interessen. Jetzt sagen selbst liberale Kräfte in den USA wie die „New York Times“, Berlin bringe damit nicht nur die deutsch-amerikanischen Beziehungen in Gefahr, sondern sogar die Beziehung zwischen den USA und Europa insgesamt. Richard Grenell hat in der konkreten Sache vollkommen recht: Deutschland bricht sein Wort, was seine Verteidigungsausgaben anbelangt. Und wer glaubt, die Vorwürfe verschwänden, wenn Trump erst einmal nicht mehr im Weißen Haus ist, liegt falsch, denn die Demokraten sehen das ganz genauso.

Frage: Können sich die internationalen Partner also nicht mehr auf Deutschland verlassen, wenn der Finanzminister den Wehretat weiter senken will, statt ihn zu erhöhen?

Lambsdorff: Nein. Deutschland ist kein verlässlicher Partner mehr. Die Bundesregierung hält zwar in ihren Reden den Multilateralismus hoch, ihre Taten aber bezeugen das Gegenteil.

Frage: Die Europäische Volkspartei (EVP) hat die Mitgliedschaft von Viktor Orbáns Fidesz-Partei eingefroren. Ist das der richtige Schritt?

Lambsdorff: Das ist ein Taschenspielertrick der Union. Damit soll vor der Europawahl verschleiert werden, dass die Christdemokraten völlig unglaubwürdig sind. Wie wollen sie die Grundwerte Europas denn glaubhaft verteidigen, wenn ein EVP-Mitglied diese ständig verletzt? Viktor Orbán hat Ungarn Schritt für Schritt zu einem autokratischen System umgebaut. Er hat die Pressefreiheit eingeschränkt, die Unabhängigkeit der Justiz untergraben, seine Regierung diskriminiert ausländische Unternehmen. Spätestens nach der antisemitischen Hetzkampagne gegen Jean-Claude Juncker und George Soros hätte die EVP einen klaren Schnitt machen müssen. Aber Wahlkampftaktik und die Karriereambitionen von Manfred Weber gehen offenbar vor.

Frage: Horst Seehofer gilt als enger Vertrauter Orbáns. Nehmen Sie eine wachsende Distanzierung der CSU wahr, seit Seehofer nicht mehr Parteichef ist?

Lambsdorff: Von einer Distanzierung zu Orbán kann keine Rede sein. Die CSU versucht, das lästige Thema im EU-Wahlkampf einfach nur stumm zu schalten. EVP-Spitzenkandidat Weber hat für das Artikel-7-Verfahren gestimmt, in dem Ungarn wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit der Stimmentzug in Europa droht. Der gesamte Rest der CSU hat sich Weber jedoch nicht angeschlossen und gegen die Aufnahme des Verfahrens gestimmt. Die Mehrheit der CSU hält also weiter ihre schützende Hand über Orbán.

Frage: Auch der FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Nicola Beer, wurde eine zu große Nähe zur Orbán-Regierung vorgeworfen.

Lambsdorff: Die Familie Beer hat seit 25 Jahren private Verbindungen nach Ungarn. Wir haben in der FDP ausführlich über diese Verbindungen gesprochen, sie hat uns das erklärt. Vielleicht hat die persönliche Zuneigung zu Land und Leuten dazu geführt, dass Nicola Beer in der Vergangenheit etwas zurückhaltender war mit ihrer Kritik. Doch an ihren liberalen Überzeugungen gibt es nicht den geringsten Zweifel. Nicola Beer kämpft zusammen mit unserer ungarischen Schwesterpartei „Momentum“ im Wahlkampf. Wir stehen also klar an der Seite der ungarischen Opposition – und nicht auf der Seite Orbáns.

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